Die Evolution des Sounddesigns

07.08.2017
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Ein Beitrag von Holger Lehmann
Diplom-Tonmeister für audiovisuelle Medien und Geschäftsführer der Rotor Film Babelsberg GmbH


Was macht eigentlich ein Sounddesigner? Wie hat sich die Arbeit mit Geräuschen und Soundkulissen durch die fortschreitende Digitalisierung in den vergangenen Jahren verändert? Und ist Kino heutzutage immer noch besser als Heimkino? Holger Lehmann, Diplom-Tonmeister für audiovisuelle Medien und Geschäftsführer der Rotor Film Babelsberg GmbH, erzählt aus seinem Arbeitsalltag und erklärt unter anderem, welche Vorteile die Technologie Dolby Atmos für ihn und den Zuschauer bringt.

 

Über 17 Jahre arbeite ich nun schon im Filmtonbereich. Als Sounddesigner bin ich für die künstlerische Gestaltung des Tons zuständig. Das umfasst das Erarbeiten von Soundkonzepten, das Zusammenstellen der Crew sowie die Auswahl und Aufbereitung verschiedenster Töne. Am Ende geht es um das Kreieren von Atmosphäre: das Ziel ist die Schaffung einer emotionalen Grundstimmung im Film. Dabei wird die klangliche Realität nachgebildet und gleichzeitig eine Illusion erschaffen, um die Wirkung der Bilder zu erweitern.

 

Wie Digitalisierung meinen Beruf verändert

Zu meinem Einstieg im Jahr 2000 habe ich noch die Endphase der analogen Technik mitbekommen. Damals wurde teilweise noch auf perforiertem Magnetband mit optischen Disks gearbeitet. Dabei hatten wir nur eine begrenzte Zahl an Spuren zur Verfügung und mussten bereits in einem frühen kreativen Stadium mehrere Geräusche zusammenmischen. Man konnte nicht alle Töne gleichzeitig hören und musste daher bereits beim Vormischen große Vorstellungskraft beweisen. Gleichzeitig musste man stark abstrahieren, denn ich musste früh entscheiden, welche Töne im Film hörbar sein sollen, auch wenn die Filmmusik noch gar nicht feststand. Wenn man sich vorstellt, dass in den 1990er Jahren Filme wie “Terminator 2” mit einer Vielzahl an Sounddesignern bearbeitet wurden, wird heutzutage die handwerkliche und künstlerische Leistung besonders sichtbar. Ständig wurden neue Vormischungen erstellt – bei Dialogen, zu besonderen Effekten, zum Aufbau einer filmischen Atmosphäre etc. – bis eine Szene endlich fertig war.

 

Holger Lehmann im Tonstudio von Rotor Film. (Bild mit freundlicher Genehmigung von Rotor Film Babelsberg GmbH)

 

Mitte der 90er bis Anfang der 2000er fand die Transformation von der analogen hin zur digitalen Speicherung statt. Mit dem Beginn der Digitalisierung machten die traditionellen Magnetbandlaufwerke Platz für digitale Geräte. Das tatsächliche Master wurde noch analog auf 35mm-Film gespeichert und erst mit der Einführung des DCPs (Digital Cinema Package, Festplatte mit dem Kinomaster) abgeschafft.

 

Vor- und Nachteile der digitalen Tonmischung

Mit der voranschreitenden Digitalisierung meines Berufs haben sich meine Möglichkeiten aber von der Grundidee nicht verändert. Unterm Strich wurde die Bearbeitung schneller, simpler und vor allem günstiger. Die neue Technik war von der Funktion her ähnlich, die meisten Geräte hatten nun aber acht oder 16 Audiospuren zur Verfügung. Früher musste man sich aufgrund der begrenzten Spurenanzahl sehr viel früher auf ein Element festlegen und die Relevanz und Lautstärke in Bezug auf die Erzählweise abwiegen. Durch die Digitaltechnik gab es mehr Kanäle und Tonspuren. Auch erhöhte sich die Menge an verwendeten Klängen, da diese besser im Raum verteilt und auch noch in einem sehr späten Produktionsschritt verändert werden konnten. Mit bis zu 40 Spuren konnte man mehrere Töne miteinander koppeln, gleichzeitig hören und so besser zusammen mischen. Hinzu kommt eine Reihe neuer Effekte.

 

Anfang der 2000er Jahre haben sich dank der wachsenden Rechenleistung digitale Workstations durchgesetzt, in denen man hunderte von Spuren bearbeiten und mischen konnte. Daraus hat sich heute eine Arbeitsweise herauskristallisiert, bei der wir bis zur finalen Hauptmischung alle Klangelemente einzeln bearbeiten können. Das klingt zunächst einmal wie ein großer Vorteil, hat natürlich den entscheidenden Nachteil, dass man Entscheidungen immer wieder verschiebt: Filmemachern bleibt bis zum Schluss noch der Wunsch offen, ein Geräusch zu verändern oder auszutauschen. Das führt manchmal zu einer Unentschlossenheit im gesamten künstlerischen Prozess.

 

Wie ich Filmsounds erschaffe

Für mich als Sounddesigner stehen stets zwei Fragen im Mittelpunkt: Warum setze ich gerade diesen Ton ein? Welche Wirkung soll er beim Zuschauer erzeugen? Das ist wichtig für die Erzählweise der Geschichte und wie man die Töne im Film einsetzt. Im Idealfall steht das Sounddesign bereits im Drehbuch. Filmemacher haben eine ungefähre Vorstellung, welche Wirkung die Szene haben soll. Im Austausch mit dem Regisseur gebe ich ihm Vorschläge, mit welchen Mitteln man diese Wirkung verstärken kann. Anschließend geht es um das Sammeln von Tönen, die einerseits aufgenommen werden – etwa direkt am Set, vom Geräuschemacher oder von mir selbst mit dem Rekorder – andererseits können wir uns aus einem riesigen Archiv bedienen. Töne können dabei natürlich entstehen, indem man etwa eine Sommerwiese mit Tiergeräuschen, Wind- und Blätterrauschen vertont. Man kann Töne aber auch technisch bearbeiten, zum Beispiel mit Hall, rückwärtigem Abspielen, verschiedenen Equalizern, Tonhöhen- oder Geschwindigkeitsveränderungen. Heraus kommen ganz artifizielle Soundsphären. Mit der Kombination aus einer Vielzahl von Tönen werden anschließend einzelne Klangwelten gestaltet.

 

Manchmal werden die Geräusche mit diversen Utensilien selbst eingespielt. (Bild mit freundlicher Genehmigung von Rotor Film Babelsberg GmbH)

 

Von Stereo bis Atmos – die Meilensteine im Sounddesign

Vor allem Dolby war in den vergangenen Jahrzehnten Motor und Innovator in unserer Branche. Ein erster Meilenstein war Dolby Stereo, was 1975 Mehrkanalton in hoher Qualität und mit Rauschunterdrückung in der Masse der Kinos durchgesetzt hat. Der Ton wurde zwar noch in Mono wiedergegeben, aber durch die vielen Lautsprecher hinter den Zuschauern entstand eine Art Surround-Sound. Die nächsten Meilensteine begründeten Dolby Digital (u.a. in „Batmans Rückkehr“ von 1992 zu bestaunen), Digital Theater Systems (bei „Jurassic Park“ von 1993 im Einsatz) und Sony Digital Dynamic (beispielsweise bei „Last Action Hero“, ebenfalls 1993).

 

All diese Audioformate haben die Wiedergabequalität in den Kinos soweit erweitert, dass es für die Soundcrew die Möglichkeiten gab, wesentlich feinere Geräusche und größere Dynamik einzusetzen. Dies war in einer Studioumgebung zwar vorher schon möglich, jedoch konnte es in den Kinos nicht wiedergegeben werden. Der Schritt hin zu digitalen Filmmastern war dann nicht mehr so groß. Durch die heutigen digitalen Möglichkeiten kommen die 3D-Audioformate wie Dolby Atmos (etwa 2012 in “Merida – Legende der Highlands”), DTSX oder Auro3D dazu. Das sind natürlich auch Meilensteine für uns Tongestalter, da sie uns das erste Mal die Möglichkeit einräumen, durch eine Vielzahl von Surround-Kanälen an der Seite und unter der Raumdecke Klangereignisse in einem dreidimensionalen Raum anzuordnen, so wie es in der Natur um unseren Kopf herum auch passiert.

 

In naher Zukunft wird im Tonbereich vermutlich erst einmal nicht mehr viel Neues geschehen, weil das Format Dolby Atmos eine ziemlich große Errungenschaft ist, die gestalterisch und inhaltlich noch überhaupt nicht ausgeschöpft ist.

 

Was mich an Dolby Atmos fasziniert

Dolby Atmos hat den Vorteil, dass Filmemacher und Sounddesigner nun endlich den Ton, wie sie sich ihn vorstellen, nicht nur in die Kinos, sondern auch nach Hause in die Heimkinos transportieren können. Es eröffnet mir Möglichkeiten, die mir eine 5.1-Mischung nicht bieten kann: Eine Klarheit im Surround. Ein Surround-Element hört sich nicht mehr an, als wäre es irgendwo im Raum, sondern direkt hinter mir. 5.1-Sound hingegen nehme ich so wahr, als läge ich in der Natur unter einer Decke – ich kann zwar alle Umgebungsgeräusche hören, aber nicht präzise orten. Wenn ich in Dolby Atmos höre, verschwindet diese Decke. Die neue entscheidende Ebene ist der Sound von oben, Töne haben präzisere Richtungsverläufe, etwa ein vorbeirasendes Auto oder ein Helikopter, der über meinem Kopf hinwegfliegt.

 

Mit Dolby Atmos wird der Zuschauer von allen Seiten und von oben beschallt.

 

Mit Dolby Atmos kann der Sounddesigner den Zuschauer jetzt noch viel detailreicher an die Hand nehmen und durch den Film führen, indem er bewusst Irritation oder Homogenität schafft. Es ist ein Mittel, um noch intensiver und immersiver in eine Bildhandlung einzusteigen und sich darin zu verlieren.

 

Dadurch entsteht auch eine viel größere kreative Verantwortung. Ich muss beachten, wann Töne den Zuschauer vom eigentlichen Geschehen auf der Leinwand ablenken. Zwar kann ich viel mehr erzählen und das Publikum in eine komplexere Welt einführen. Gleichzeitig muss ich aber auch vorsichtig vorgehen, sonst verliert der Zuschauer die Konzentration auf die Handlung, die auf der Leinwand stattfindet. Im Weglassen und Hinzufügen des oberen Kanals besteht die eigentliche Herausforderung. Wenn man mit ihm arbeitet, sollte das möglichst detailreich sein (z.B. Regentropfen), weil die Präzision dadurch deutlicher wird, während ein schwammiges Signal (Großstadtrauschen) unkonkret erscheint. Wenn ich die ganze Zeit die obere Soundebene bespiele, nimmt man sie irgendwann nicht mehr wahr, da die Unterschiede nicht mehr rauszuhören sind. Das ist so, als würde ich jeden Tag Kaviar essen, irgendwann verschwindet das Besondere. Daher darf der Einsatz der Technologie niemals zum Selbstzweck werden. Es geht immer um den Film und die Geschichte! Streng genommen darf sich der Zuschauer nie des Tons bewusst werden, dann steht er zu sehr im Vordergrund.

 

Auch wenn Genres wie Action oder Horror, wo also möglichst viele Elemente um einen herumfliegen, auf den ersten Blick am besten für Dolby Atmos erscheinen: Ich sage trotzdem, dass sich alle Genres gleichermaßen für Dolby Atmos eignen. Durch die Auflösung und Brillanz des Sounds ist Dolby Atmos ein Gewinn für jeden Filmemacher, der seine Geschichten damit überall gleich gut erzählen kann – egal ob Kino oder Heimkino.

 

So sieht ein modernes Heimkino aus: Ein Samsung TV und die HW-K950 Soundbar powered by Dolby Atmos.

 

Heimkino mit Dolby Atmos

Ist nun das Kino oder das Heimkino besser? Für mich macht es kaum einen Unterschied, für welches Format ich den Klang mische. Ich versuche prinzipiell, ein Heimkinoerlebnis genauso zu erzeugen wie ein Kinoerlebnis. Andererseits gibt es natürlich Parameter, die in einem Heimkino-Kontext anspruchsvoller sind. Leute hören aus Rücksicht auf ihre Nachbarn Filme im Heimkino meistens leiser. Daher müssen sich die Sounds durchsetzen können, die für das Storytelling essentiell sind. Zu subtil gemischte Töne lassen sich zu Hause nicht mehr übertragen. Ebenso gilt dies für Töne, die zu laut gemischt werden, da evtl. andere Töne dadurch nicht mehr hörbar sind. Das beste Beispiel ist hierfür zu laute Musik im Verhältnis zu den Dialogen.

 

Jeder, der Spaß daran hat, sich durch eine Filmgeschichte verzaubern zu lassen, sollte das im Kino und zuhause genießen können. Der Ton schafft die Emotionalität. Daher gilt: Je besser die Anlage, desto größer und präziser ist die Wiedergabequalität. Mit Dolby Atmos wird das Filmerlebnis zum Genuss!

 

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