Wie schafft man Teilhabe im TV für blinde Menschen?
Von Heiko Kunert
Eine Männerstimme dringt aus meinem Fernseher und sagt: „In einem halbdunklen schuppenartigen Raum öffnet sich eine windschiefe Holztür nach außen. Mit Kreide schreibt ein Alter auf eine Tafel Zugzeiten von und nach Flagstone. Erstaunt dreht er sich um und sieht auf den schmutzigen Stiefel eines Mannes, der eine Tür aufschiebt.“
An einen Film wie „Spiel mir das Lied vom Tod“ hätte ich mich früher nicht herangetraut. Der Grund: Wenig Dialoge, viel rein visuelle Handlung. Allein in den ersten 20 Minuten wird kaum gesprochen. Als blinder Mensch hätte ich dem Geschehen nicht folgen können. Audiodeskription ermöglicht blinden Menschen den Zugang zur Handlung über eine zusätzliche Tonspur, auf der ein beschreibender Text eingespielt wird. In den Dialogpausen werden Gestik, Mimik, Aussehen, Kleidung und visuell wahrnehmbare Handlungen kurz und knapp beschrieben.
Audiodeskription ist eine eigene Kunstform
Filme mit Audiodeskription werden oft Hörfilme genannt. Sie sind mehr als ein praktisches Hilfsmittel, sie sind eine eigene Kunstform – irgendwo zwischen Spielfilm und Hörspiel. Was macht einen guten Hörfilm aus? Es beginnt bei den Dingen, die beschrieben werden. Sind es wirklich Dinge, die für das Verfolgen der Handlung relevant sind? Sind es wirklich die Dinge, die nicht bereits über die Dialoge oder Sounds transportiert werden? Wichtig ist auch, dass die Sprache der Audiodeskription präzise ist und trotzdem nicht zu monoton. Sie sollte sich in den jeweiligen Filmkontext einfügen – einen „Tatort“ beschreibt man anders als „Bibi und Tina“. Ganz entscheidend für die Qualität einer Audiodeskription ist, dass zu den Beschreiberteams blinde Menschen gehören, die am besten beurteilen können, was beschrieben werden muss und ob die Audiodeskription nachvollziehbar ist.
Fast keine Hörfilme im Privatfernsehen
Audiodeskription ist aber längst mehr als nur beschriebener Spielfilm. Auch Serien werden übersetzt, wie die Daily-Soap des Bayerischen Rundfunks „Dahoam is dahoam“, immer häufiger gibt es Live-Beschreibungen bei Sportereignissen wie Fußball-Weltmeisterschaften. Dokumentationen werden ebenso audiodeskribiert wie Königshochzeiten.
Bedauerlicherweise findet all dies fast ausschließlich im öffentlich-rechtlichen Fernsehen statt. Die Privaten hierzulande bieten so gut wie gar keine Audiodeskription an, mit Ausnahme einiger weniger Pilotversuche wie beim diesjährigen Finale von „Germanys Next Top Model“ oder bei der RTL-II-Serie „Falkenberg“. In beiden Fällen haben die Sender allerdings die Audiodeskription nicht über das TV-Signal verbreitet, sie war nur über Smartphone-Apps zugänglich.
Audiodeskription in Kino und Theater
Eine für Audiodeskription via Smartphone sehr empfehlenswerte App ist GRETA. Sie synchronisiert mit Hilfe des Telefon-Mikros das Filmsignal mit der Audiodeskriptions-Spur, die auf das Smartphone geladen wird. Dank dieser App können inzwischen etliche Filme auch im Kino genossen werden. Ich kann so gemeinsam mit sehenden Freunden in irgendein Kino gehen, setze mir einen Kopfhörer auf und bekomme den Film beschrieben. Das ist Inklusion.
Auch immer mehr Theater bieten Vorstellungen mit Beschreibungen für blinde und sehbehinderte Menschen an – häufig verbunden mit einer Führung durch das Bühnenbild vor der Vorstellung, bei der auch Kostüme angefasst werden können. Opernaufführungen werden vereinzelt angeboten, Handballturniere oder Tanz-Performances. All diese Angebote bedeuten soziale Teilhabe. Je mehr Hörfilme angeboten werden, je selbstverständlicher Audiodeskription bei Live-Events wird, desto weniger werden wir blinden Menschen behindert.
Gesetzliche Vorgaben sind nötig
Und doch ist es noch ein weiter Weg. Denn immer noch ist Barrierefreiheit nicht selbstverständlich. Weder im Privatfernsehen noch bei YouTube spielt Audiodeskription eine relevante Rolle. Es bleibt zu wünschen, dass sich dies dank einer neuen EU-Richtlinie für audiovisuelle Medien https://www.dbsv.org/pressemitteilung/resolution-avmd-richtlinie.html ändert. Insgesamt tut sich die deutsche Politik bisher schwer mit rechtlichen Vorgaben für mehr Barrierefreiheit.
Während eine Filmförderung inzwischen in den allermeisten Fällen daran gekoppelt ist, dass eine Audiodeskription und Untertitel erstellt werden, gilt dies für die Förderung von Theatern und Opernhäusern bisher nicht. Auch das sollte sich ändern.
Barrierefreie Bedienung von TV-Geräten
Audiodeskription muss zudem leicht zugänglich sein. Bedenkt man, dass über 40% der blinden Menschen 80 Jahre und älter sind, so wird klar, dass die Bedienung von TV-Geräten so barrierefrei wie möglich sein sollte. Es muss möglichst einfach sein, das AD-Signal zu aktivieren. TV-Geräte müssen auch für blinde und sehbehinderte Menschen intuitiv bedienbar sein, z. B. durch akustische Signale und eine Sprachausgabe. Die rein visuelle Darstellung von Bedienmenüs auf dem Bildschirm ist für unseren Personenkreis eine meist unüberwindbare Barriere.
Und schließlich greifen auch blinde und sehbehinderte Menschen zunehmend häufig via Internet auf TV-Angebote zu. Mit Hilfe von sprechenden Smartphones und Computern und mit technischen Hilfsmitteln ist das möglich. Daher müssen in Mediatheken und in TV-Apps die barrierefreien Formate in vollem Umfang angeboten werden und gut auffindbar sein. Bisher sind Streams und Downloads mit einer Audiodeskription oft schwer zu finden, oder sie fehlen gleich ganz.
Über den Autor:
Heiko Kunert (43) ist Geschäftsführer des Blinden- und Sehbehindertenvereins Hamburg und Vorstandsmitglied der Hamburger Landesarbeitsgemeinschaft für behinderte Menschen. Er ist Experte für Inklusion und Barrierefreiheit. Er bloggt auf Heikos.Blog über seine Arbeit und sein Leben als blinder Mensch in Hamburg. Auf Twitter ist er als @HeikoKunert zu finden.
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